„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Montag, 1. März 2021

Wie die Anemonen in den Wald kamen


Eines Tages tuschelten die Wurzeln der Bäume mit den Pilzen auf dem Waldboden: "Die Wipfel unserer Bäume sind immer so arrogant. Sie tun dicke, weil sie die Sterne sehen dürfen, die Sterne und ihren Hirten, den Mond. Wir pumpen Wasser und Mineralien nach oben noch und noch und wir halten den Baum. Und die Wipfel halten sich für was Höheres als wir hier unten auf und im Boden."

Die Wurzeln und die Pilze erzählten ihre Sorgen dem Schmetterling. Der flatterte zur Betteleiche mitten im Hainich. Die war die tausend Jahre alte Fürstin der Bäume und war frei vom Ehrgeiz, die höchste zu sein. Die Betteleiche wusste, die hohen und die gerade Bäume, die sich recken, die werden gefällt. Die krummen Bäume werden alt. 

Die Betteleiche hatte beste Beziehungen zum Himmel. Sie duzte sich mit dem Mond. Die Betteleiche erzählte dem Mond vom Ärger der Pilze und Wurzeln.

Der Mond wurde nachdenklich. Er bat Gott um Hilfe. Gott grübelte. Und gab das Problem an den Mond zurück.

Der Mond wusste, er ist der Hirte der Sterne. Gott hat sie ihm anvertraut. Die Sterne aber wollten nicht auf den Waldboden.

Der Mond ging zu Flora, der Königin aller Pflanzen: "Liebe Flora, möchtest Du den Pilzen und Wurzeln nicht helfen. Sie mühen sich und mühen sich. Und möchten so gern die Sterne sehen." Und Flora besprach sich mit Gott, der half: Flora durfte Sternenstaub aus der Milchstraße über den Wald streuen.

Und so kamen die Anemonen auf die Erde. Und weil sie keine echten Sterne sind, leuchten sie nur im Frühjahr für kurze Zeit. Und so bekamen die Wurzeln und die Pilze ihre eigenen Sterne. 

Michael Zeng