„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Von Menschen und Göttern und der Vernunft


Wir bleiben auf dem Feensteig 

Über die Götterwelt der Germanen gibt es nur wenige Quellen. Caesar und Tacitus schrieben Infos auf. Dann verfasste im 13. Jahrhundert der Isländer Snorri zwei Bücher über die germanischen Götter, die beiden Eddas, und dann haben wir die Merseburger Zaubersprüche. Das sind Heilzauber für verletzte Pferde. 

Allerdings gibt es noch indirekte Quellen: 

1. Die Germanen waren Indoeuropäer, wie die Kelten, Griechen, Römer, Slawen, Perser und Nord-Inder. Über deren Götterwelt gibt es auch Infos und Quellen. Es gibt Parallelen. 

2. Die Germanen durchliefen, wie andere Kulturen, eine Entwicklung von der Urzeit zur Antike. In der Urzeit war die Verbindung zur Natur sehr eng. Dann kam die Landwirtschaft und Menschen konnten andere mit Nahrungsmitteln versorgen. Die anderen wurden Handwerker, Berufskrieger, Organisatoren und Herrscher. 

3. Mit der Entfernung von der Natur wurde die Gesellschaft komplexer. Und die Religion machte diese Entwicklung mit.

Mit den Erkenntnissen 1 bis 3 kann man die Götterwelt der Germanen einordnen. 

Wir erkennen vier Arten von Göttern : Riesen, Wanen, Asen und Loki.

In der Urzeit standen die Menschen staunend vor Bergen, Flüssen, Seen, Meeren, Sümpfen, Gletschern, Fjorden. Diese Erscheinung stellten sich den Menschen in den Weg, forderten Opfer, zeigten ihre Größe, Gewalt und Unbesiegbarkeit. Die Menschen interpretierten diese Erscheinungen als Riesen. Das waren die ersten ältesten Götter der Germanen. 

Später verloren diese Erscheinungen ihre Schrecken. Flüsse, Meere und Berge wurden überwunden. Und wurden klein und beherrschbar. Die Riesen wurden zu Trollen. 

Nun rückten die nächsten Rätsel in den Vordergrund. Warum wurde es Tag und Nacht? Welche Kraft ließ einen Samen zum Baum werden? Warum starben Menschen? Was passierte nach dem Tod? Wer schenkte Fruchtbarkeit und wer ließ verdorren? Wanen hießen die Götter der Vorgänge und Abläufe der Natur. 

Die Menschen verließen die Urzeit und ihre Gesellschaft wurde komplexer. Es gab Herrscher, deren Macht vererbt wurde. Aus Herrscher-Geschlechtern wurden Götter-Geschlechter. Die Asen betraten die germanische Götterwelt. Die Asen personifizierten menschliche Eigenschaften wie Mut, Kriegskunst, Handwerk, Wut, Zorn, sinnliche Liebe. 

Allerdings kam dann der Wanenkrieg. Die Wanen riefen die Riesen um Hilfe gegen die Asen. Schließlich einigten sich Wanen und Asen auf eine gemeinsame Herrschaft. Beide besiegten die Riesen. Die waren die Dummen. 

Dieser mythische Krieg könnte bedeuten, dass die klassischen Germanen aus zwei Kulturen entstanden, die wohl nördlich des Schwarzen Meeres aufeinandertrafen. 

Die eine Kultur betete zu den Wanen, die andere zu den Asen. Man einigte sich und integrierte einander.

Beide Kulturen verließen ihre Urzeit und damit die alten Naturgeister. Die Riesen hatten als Götter ausgedient. Sie wurden zu Trollen. 

Okay. Riesen, Wanen und Asen haben wir unter. Und Loki? 

Loki ist eigentlich kein Gott. Loki ist ein Trickster. Er stammt aus der Urzeit und ist der Geist, der Böses will und Gutes schafft. Was wir ja bis heute so oft erleben.

Jedes Böse hat etwas Gutes. Dafür sind Trickster verantwortlich.

Dieses Prinzip ist durch Götter nicht erklärbar. Götter tun immer direkt: Sie tun Gutes oder Böses.

Unser christlicher Teufel ist ein Trickster.

Loki kommt aus der Urzeit. Er steht neben den Riesen, Wanen und Asen. Er ist die unbesiegbare Mücke des freien Geistes, die sticht und stänkert und nicht besiegt werden kann. Auch nicht von Riesen und Göttern. Und durch Vernunft? Ach Gott, Vernunft ist Lokis Energy Drink, sein Elixier. 

Loki kam mit uns aus der Urzeit und er wird an Bord sein, wenn wir zu den Sternen fliegen. 

Die Germanen hatten kein Buch wie die Bibel, kein Buch, das immer wieder erinnerte an die reine Lehre. Die germanischen Religion entstand und lebte und lebt durch Phantasie und Erzählungen.

Menschen verarbeiteten ihre Gedanken, Beobachtungen und Gefühle am Lagerfeuer oder am Herd. 

Menschen suchten Antworten und fanden diese in der Religion. Später glaubte man an die Vernunft oder den Dollar oder an dialektische Systeme. Auch diese Religionen fanden ihre Mythen und Legenden und Geschichten. 

Wenn es heute Fans gibt der alten Götter und Hollywood Filme dreht über Odin, Thor, Loki und Co, dann werden die alten Fäden weiter gesponnen. So lange wir von ihnen Geschichten erzählen, so lange bleiben die Götter lebendig. Und die alten Naturgeister? Die wimmeln in den Märchen und wuseln in Filmen. Und manchmal, manchmal veralbern sie die Götter. Und spotten der Vernunft. 

Michael Zeng