„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

50 Jahre Stottern

Gestern erfuhr ich aus einem Schriftstück von 1983, dass ich 50 Jahre lang gestottert habe.

Ich verlor mein Stottern gegenüber Menschen dieses Jahr zum Fasching. Ich stand an fünf Tagen auf der Bühne als Ansager einer Band. Plötzlich war ich 'ne "Rampensau" durch Reden. Donnerwetter. 

Allerdings wusste ich die letzten 45 Jahre der 50 Jahre, ich kann fließend sprechen zu Tieren. Das vergesse ich niemals meiner Katze und meinem Hund. Danke. 

Nur gegenüber Menschen stotterte ich. Das verschwand zu Fasching 2024/25.

Das vergesse ich niemals den Menschen, die mir vertrauten und mich auf die Bühne ließen, für sie zu sprechen. Danke.

Mich hat immer geärgert, dass Stottern als Stilmittel genutzt wird, um in Filmen dumme Menschen darzustellen. Selbst in Filmen von Monty Python. Meine zwei Hochschulabschlüsse sollten das eigentlich widerlegen. Mein Rezept: Ich ignorierte mein Stottern. Andere nicht. 

Immer wieder erfuhr ich, Dummheit drückt sich überwiegend aus durch mündlich Äußerungen. Schweigende Menschen wirken grundsätzlich weiser. Es sei besser zu schweigen, und als Narr zu erscheinen, als zu reden und damit jeden Zweifel zu beseitigen, sagte Abraham Lincoln, ein wirklich historisch wichtiger Präsident der Vereinigten Staaten. Über Facebook verschriftlichte sich allerdings die Dummheit als Epidemie gerade von Leuten, die Epidemien leugnen. Auf so'n Paradox kommt wohl nur der liebe Gott. 

Ich sprach immer gern. Erzählte meinem Hund alles. Der wedelte meine Sorgen einfach weg. Gegenüber meiner Katze schwieg ich und erfuhr von ihr viel über die Unwichtigkeit der meisten Sorgen der Menschen. Wichtiger als meine Sorgen war ihr Schnurren. Sie verbrummmelte alle meine Sorgen. 

Weil ich nicht viel sprach, schrieb ich mehr und feilte an meiner Schriftlichkeit. Ich denke schriftlich und quassele auch schriftlich. Wie manche nicht aufhören zu reden, finde ich beim Schreiben oft die Bremse nicht. Das nervt Menschen, die von langen Texten überfordert sind. 

Ich bin glücklich, nun flüssig reden zu können und probiere das gerade aus, wo's sich ergibt. Das ist herrlich und schön. Und ich entdecke die Welt der redenden Kommunikation. 

In den 50 stotternden Jahren erfuhr ich viel über Menschen. Wie sie umgegangen sind mit meinem Stottern, das verriet mir viel über sie. Ich wusste, was ich von ihnen halten kann.

Ob ich mit Menschen reden konnte oder nicht, zeigte mir, was ich von ihnen erwarten könne. Allerdings konnten Vertrauen und flüssige Kommunikation auch wachsen und gedeihen. Diese innere Analyse-App fällt nun weg. Jetzt muss ich's erfragen und hören.