„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Samstag, 27. Juni 2015

NACH OBEN oder B. Brecht und das BLAU


Über dem Vogteier Meer abends am 25.Juni2015
Es lohnt sich immer mal nach oben zu schauen.
Manche vermuten dort den lieben Gott.
Manche unendliche Weiten, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.
Auf jeden Fall sehen wir dort meist Wolken.
Die bestehen nur aus Wasserdampf.
Aber mit Sonne und Wind und dem Blau des Himmels bilden Wolken doch wundervolle Bilder, immer wieder neu.
Die Konstellationen der Wolken verändern sich ständig.
Doch die Schönheit bleibt, ändere sich, was wolle.
Das beruhigt irgendwie.
Sind Wolken nur Wasserdampf?

Bertolt Brecht:
Erinnerung an die Marie A.

1
An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
2
Seit jenem Tag sind viele, viele Monde
Geschwommen still hinunter und vorbei
Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen
Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?
So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.
Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst
Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer
Ich weiß nur mehr: Ich küsste es dereinst.
3
Und auch den Kuss, ich hätt' ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke da gewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.