„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Die ewig neuen alten Lieder

Das Duo Waldträne spielte in der Mühlhäuser Kulturfabrik.

Waldtraene, das sind: Knoepfchen alias Babett Karkowsky und Horda alias Alexander Mertzdorff. Das Duo singt überwiegend eigene Lieder. Horda spielt dazu Gitarre, die auch eine Laute sein könnte. “Babett hat eine wunderschöne Stimme”, sagte ein Gast, der selber zur Gitarre singt.

Auf ihrer Webseite erklärt das Duo seine Musik:

"Wir berichten von den Geschichten und Bräuchen unserer Ahnen und tragen mit unserer Musik aktiv zum Erhalt unserer Kultur bei. (...) Vertont wird hierbei hauptsächlich die Mythologie, Glaube und Naturspiritualität unserer Vorfahren, den Germanen, den Nordvölkern und Kelten."

Im ersten Teil des Konzerts verwandelte sich die Kulturfabrik in einen alten Wald:

Dunkelheit und Nebel.

Baumschatten ragen in den Himmel zwischen Nacht und Tag. Die alten Wesen und Göttinnen erwachen. Sie leuchten durch die Baumstämme, wie die alte weiße Sonne am Winterabend. 

Die Lieder der Waldträne nahmen die Gäste der Kufa mit in den Lauf der Jahreszeiten:

Die Frühlingsgöttin durchschritt den kahlen schwarzen Wald. Wo die Göttin wandelte, wird es lindgrün. In ihren Spuren blühen die Schneeglöckchen und Krokusse. Die Herrin des Waldes vertreibt den Winter: Wir alle kennen Frau Holle.

Über die Mittsommernacht geht’s zur Wintersonnenwende. Und durch die rauhen Nächte erreichen wir das Neue Jahr. Wir begrüßen es immer wieder.

Die alten Lieder beschreiben den Jahreslauf. Deshalb: Die alten Lieder sind immer wieder die neuen Lieder, sind ewig wie der Lauf der Jahreszeiten: “Al daz jar”, so singt es Waldtraene. 

Nach einer kurzen Pause treten die Musikanten mit ihren Zuhörern aus dem Wald heraus:

Am Horizont gegenüber dem Wald stehen die Legionen der Römer. Ihre Rüstungen blinken im Sonnenlicht. Ihre Banner wehen. Der Römische Adler hat eherne Krallen. Die Musik von Waldtraene wird wilder und kräftiger, schneller: 

“Den Speer in der Hand, Wotan im Herzen. / Donar kämpft an unserer Seit. / Kein Blick zurück.”

So ging es gegen die Römer.

Varus, der römische Statthalter mit drei Legionen, er wurde besiegt, im Teutoburger Wald, im Jahre neun nach des Heilands Geburt. Die Germanen unter Arminius waren siegreich. 

Wie Waldtraene sang, so könnten die Germanen ihre großen Schlachten besungen haben, an Lagerfeuern im großen Wald. Göttinnen hörten zu.

Das letzte Lied: “Das war die Nacht der Skalden.” Ja, die Skalden, die Sänger im alten Norwegen, im alten Island, die sangen in der Kufa. 

“Vielleicht das letzte Mal”, sagte Horda, der Skalde der Waldtraene. Das klang nach.

Michael Zeng