„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Freitag, 28. August 2020

Die Legende vom Lichtbringer

 Gott trennte das Dunkel vom Licht Gott schied Tag und Nacht Gott schuf Himmel und Erde und alle Tiere und Pflanzen. Zum Schluss schuf Gott den Menschen und war erst mal geschafft,  musste einen Tag lang ruhen. Gott setzte den Menschen ins Paradies. Der Mensch hielt es dort nicht aus und wurde gegangen.  Das alles wissen wir, können wir nachlesen.

Was wir nicht wissen ist, Gott hatte Helfer, er war im Team. Aus sich selbst schuf Gott sein Team, so wie er das Universum aus sich selber schuf. Gottes Mitarbeiter nennen wir Engel.
Einer dieser Engel war Luzifer, oder besser, wurde später Luzifer genannt.
Luzifer von Lux, Licht, Luzifer bedeutet: Der Lichtbringer. Dies ist die Legende vom Lichtbringer. 

Das Erschaffen von Himmel und Erde sowie Tiere und Pflanzen, das hat, mit dem lieben Gott als Teamleiter, noch Spaß gemacht, auf Dauer war es langweilig. Alles kreuchte und fleuchte nun streng nach den göttlichen Gesetzen der Natur und richtete sich nach den Regeln der Evolution.
Pah. Wie langweilig.
Selbst die höchsten Tiere, ein Pärchen nackter Affen, vom Chef aus Lehm geformt und angespuckt, selbst die lebten und liebten in Friede Freude Eierkuchen. Pfff.
Doch halt! Die beiden nackten Affen, da war doch was. Die schuf der Chef doch kurz vor Feierabend.
Deshalb hatte er auch vergessen, von Anfang an gleichzeitig Männchen und Weibchen zu machen. Erst als der ganze Lehm verbraten war, merkte es der Chef: „Himmel, das Weibchen fehlt!“ 

Das war ein Theater, niemand traute sich ins Chefzimmer. Nachdem er sich beruhigt hatte, nahm der Chef Lehm vom Männchen und formte ein Weibchen.
Dann standen sie da, Männchen und Weibchen. Allerdings, die Formvollendung der ersten und einzigen Figur war dahin. Die beiden neuen Figuren sahen unfertig aus, irgendwie nicht makellos. Das Team schwieg, dem einen waren die Füße zu groß, dem anderen die Nase zu dick, die Proportionen nicht harmonisch. Aber der Chef bestimmte: „jetzt ist Wochenende! Feierabend! Tschüß!“ Alle gingen nach Hause, machten den siebenten Tag xblau! 

Nein, nicht alle gingen nach Hause. Der Engel, der später Luzifer heißen sollte, blieb zurück, nachdenklich. 

Bis kurz vor Feierabend war alles harmonisch. Belebte und unbelebte Natur existierte mit sich und untereinander in Harmonie, wandelte sich im ewigen Werden und Vergehen, gehorchte dem ewigen Wandel von Yin und Yang. 
Da musste nichts mehr getan werden.
Der Chef hatte die Evolution in Gang gesetzt, hatte die Gesetze und eine Prise Unberechenbarkeit gegeben, aber auch Zeit gewährt. Die Evolution ging ihren gesetzmäßigen Gang – langweilig.
Tiere und Pflanzen waren unangreifbar harmonisch.
Aber diese zusammengewurstelten nackten Affen - unter Feierabenddruck gebastelt – die waren unvollkommen, hatten Schwachstellen, mit denen konnte man Spaß haben.
Was würde wohl passieren, gäbe man den nackten Affen etwas, woran sie sich reiben könnten, etwas Universelles, was ihnen nicht wieder genommen werden kann, auch vom Chef nicht. 

Der Engel, der später Luzifer heißen sollte, griente. Hi hi!
Da gab es doch was! Da gab es die Erkenntnis, gebannt in einen Apfelbaum, konzentriert angelagert in seinen Früchten. 

Als der Chef gerade auf einem Kongress weilte, also abgelenkt war, handelte der Engel, der später Luzifer heißen sollte. 
Zuerst streute er den nackten Affen ein wenig Neugier in den Kaffee. Dann lockte er die beiden zum Baum der Erkenntnis und ließ Eva in den Apfel beißen. Eva überredete Adam und so weiter.
Adam biss zu, sofort sah er Eva in neuem Licht. Der Engel las Adams ersten Gedanken: “Man ist die geil, die Alte!“ Ab sofort war es vorbei mit Friede Freude Eierkuchen, mit der Harmonie sowieso. 

Es kam, wie es kommen musste, der Chef merkte alles. 
Michael musste ran und musste die beiden rausschmeißen aus dem Paradies. Adam grub und Eva spann, und später kam der Edelmann, die FDP.
Das Paradies wurde zur Erinnerung, an die alten Zeiten der Jäger und Sammler in der überbordenden Natur. Der Chef musste eingreifen.
Als erstes milderte er die Strafe und schenkte den Menschen die Hunde und die Katzen als Tröster. 
Später musste der Chef doch zuschlagen; zuerst die Sintflut, dann die erste Kernspaltung in Sodom und Gomorrah, schließlich musste er selbst ran. 
Er nannte sich Jesus und tarnte sich als Zimmermann und Bauarbeiter.
Wer wollte bei einem Baubudenrülps göttliche Abstammung vermuten!?
Der Chef kam als Gesellschaftsarzt und wollte heilen, die Körper und die Seelen.
Die Patienten spielten nicht mit und schlugen den Heiler ans Kreuz. Jedenfalls glaubten sie das.
In Wirklichkeit haben wir im Team lange gebraucht, um uns den Abgang des Chefs auszudenken und zu arrangieren. Rückholaktionen sind oft gar nicht so einfach.
Verspielt haben wir es doch, Judas wurde falsch gebrieft.
Zurück zu dem Engel, der später Luzifer heißen sollte, natürlich bekam der Chef nicht nur die Tat mit, sondern fand auch den Täter heraus.
Der Engel, der später Luzifer heißen sollte, musste beim Chef antanzen, musste hinter die verschlossene Tür, musste unter vier Augen. Vom Inhalt des Gesprächs bekamen wir nichts mit. 
Später fand jemand jedoch einen Schnipsel aus dem Tagebuch des Chefs:
„Hm, merkwürdig, an meinem ersten freien Sonntag dachte ich, das mit den beiden Menschen gestern kurz vor Feierabend, das lief blöd. Ich hätte die nicht auf den letzten Drücker machen sollen.
Mehr Zeit hätte ich mir lassen sollen!
Na gut, vorbei! Die Vergangenheit ändern, das können nur Historiker.
Was ich kann ist, die nächste Aktion planen und durchziehen.
Ich wünsche mir Wesen, die an mich glauben und denen ich helfen kann, die für meine Unterhaltung sorgen.
Mit den Mineralien, den Pflanzen und den Tieren läuft es, die sind perfekt.
Die letzten beiden Wesen, die von kurz vor Feierabend, die sollten mir Abwechslung verschaffen, mich fordern. Aber wie bringe ich die nur dazu? 

Hier fehlt ein Stück vom Tagebuch des Chefs. 

Donnerwetter! Jetzt hat es geklappt, die Menschen sorgen für meine Unterhaltung. Einer meiner Engel hatte einen geniale Idee. Aber er hatte zu dieser Idee keinen Auftrag von mir. 
Ich hatte das anders geplant. In endlosen Konferenzen und Sitzungen wollte ich die beste Idee aus meinem Team herauspressen, um dann so lange zu tagen und an Tagesordnungen zu kauen, bis alle mir freiwillig den besten Einfall als den meinigen zugestehen.
Aber kann oder darf ich den vorwitzigen Engel bestrafen?
Er hat den Menschen das Licht gebracht, hat für Abwechslung gesorgt, hat meinen Plan umgesetzt.
Er ist ja ein Teil von mir.
Bestrafen muss ich ihn aber, sonst tanzen mir die anderen Engel auf der Nase herum.
Ich werde den Schlingel als meinen Gegenspieler einsetzen. Das bestraft ihn, hebt ihn aber auf eine Höhe mit mir, bloß unter anderem Vorzeichen.
Damit ihm das aber nicht zu Kopf steigt, bekommt er von den Toten nur die Bösen und ich die Guten.
Hi hi, das hat er nun davon. 

Michael Zeng