„Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, ein vernünftiges Wort sprechen.“ _Johann Wolfgang von Goethe

Samstag, 3. Januar 2015

KULTUR DES ABENDLANDES

Dieses Bild schuf der deutsche Künstler Matthias Grünewald im Jahr 1525, vor 490 Jahren.

Die Kreidezeichnung fand man nach dem Tod des Künstlers in einer Schublade, die er vernagelt hatte. Es fehlt also die Aussage des Künstlers, was er dargestellt hat. Wahrscheinlich wollte Grünewald es nicht sagen, nicht sagen müssen.

Die Wissenschaft glaubt, Grünewald habe Kritik an der römischen Kirche geübt. Als er an der Zeichnung gearbeitet haben muss, fand in Deutschland die Reformation statt. Auch eine Kampfschrift Ulrichs von Hutten war im Umlauf. Von Hutten war einer der letzten echten Ritter. Er tauschte das Schwert und Schild ein gegen die Feder und Tinte. In seinen Schriften warf er der Kirche vor: Sie sei unkeusch, geizig und hoffärtig. Heute würde man sagen: geil, habgierig und überheblich. Das soll Grünewald dargestellt haben in seinen drei Köpfen.

Es könnte aber auch die heilige Dreieinigkeit sein, links der Heilige Geist, in der Mitte Gottvater und rechts Jesus. Das wäre die höchste Kritik an den Zuständen der damaligen römischen Kirche, die je ein Künstler erreicht hat. Gründewald wusste wohl, warum er die Schublade vernagelte, in der die Zeichnung lag. Aber wenn Gott-Vater uns aus der Mitte heraus anschaut, dann vielleicht nicht geizig oder habgierig. Ich finde er schaut uns nachdenklich an. Eigentlich traurig. Wahrscheinlich ist es doch Gott.

Michael Zeng